Irene und Simba
Wie es sein kann, befreit zu sein, es geschafft und endlich ein „Für-immer-Zuhause“ zu haben und doch noch eingesperrt zu sein, gefangen in den eigenen Ängsten und Traumen, das hat mir in den letzten Tagen sehr eindrücklich der kleine Simba demonstriert, der, aus einem rumänischen Shelter gerettet,nun seit bereits 3 Monaten bei Irene in Stuttgart lebt, wo er sich jedoch den Großteil des Tages und auch die Nacht in ihrem Bett versteckt, die kleine Stirn in sorgenvolle Falten gelegt…
Sein „Geschäft“ erledigt er im Nebenzimmer auf Inkontinenzeinlagen.
Irene füttert ihn ausschließlich aus der Hand, was er zwar dankend aber immer ein bisi in Sorge annimmt.
In diesen drei Monaten hat er durchaus Vertrauen zu Irene gefasst, was jedoch nicht heißt, dass er sich von ihr berühren, geschweige denn streicheln lässt… vor den männlichen Bewohnern des Haushalts flüchtet er. Er trägt seit seiner Ankunft aus Rumänien 24/7 sein Sicherheitsgeschirr und hat bis jetzt nicht einen! einzigen! Schritt vor die Tür gesetzt…
Irene ist eine wahnsinnig liebe und sehr gefühlige Frau, die bereit war, ihm die Zeit zu geben, die er braucht zu heilen, spürt nun aber schon seit geraumer Weile, dass jetzt definitiv der nächste, und in Simbas Fall wortwörtlich der ERSTE Schritt in die Freiheit getan werden muss. Auf Empfehlung einer Freundin wendet sie sich (gottseidank!) an mich und wir beginnen an einer funktionierenden Lösung für alle Beteiligten zu arbeiten.
Nora:“Ja…Schluss mit Verstecken! Bald geht’s raus, mein Freund!“
Simba:“Pfff…in hundert kalten Wintern nicht…!!“
Mein erster Impuls, ihm eine leckere Hündin zu präsentieren, im naiven Glauben, er würde ihr fröhlich die drei Stockwerke hinunter in die Freiheit folgen, schlägt fehl… Sooo leicht macht er’s uns dann doch nicht!
Irene reduziert auf mein Anraten die Handfütterung und der Bub darf sich einfach satt essen, ohne irgendetwas dafür tun zu müssen, was er ziemlich cool findet…
Ich besuche die beiden zum zweiten Mal. Wir wollen raus. Simba definitiv nicht. Aber er weiß ja auch (noch) nicht, WIE toll die Welt draußen ist und dass eine Million Gerüche darauf warten, von ihm erschnuppert und unendlich viele Bäume regelrecht darauf BRENNEN, von ihm markiert zu werden…
Der Abstieg gestaltet sich schwierig und dauert eeewig ABER Simba schafft es!
Wir sind draussen!! Simba berührt nach drei Monaten zum ersten Mal deutschen Boden..!!
Wir verbringen ein paar Minuten im Hof, weinen Freudentränen, Simba pieselt an den Baum direkt vor der Haustür, wir gehen über die Straße auf’s Mini-Wiesle und wieder retour…mehr als genug für heute!
Auch nach oben möchte Simba keine Treppen steigen. Mein Blick fällt auf seine kleinen Pfötchen und ich sehe, WIE wahnsinnig lang seine Krallen sind! Und klar sind sie das, er hatte ja auch null Gelegenheit, sie abzulaufen…seinen Menschen war das auch schon aufgefallen, aber was tun, wenn man mit dem Bub mal nicht eben ausser Haus zur Krallenpflege gehen kann?! Ich schnappe mir den kleinen Mann kurzerhand und trage ihn die drei Stockwerke nach oben.
In der Wohnung angekommen, streichelt Irene ihren Hund zum allerersten Mal…
Am nächsten Tag mache ich mich erneut auf den Weg. Simbas Krallen wachsen schon „im Kreis“, bereits in die Pfotenballen und auch die Haare zwischen den Ballen sind furchtbar lang. Das muss alles ab! Und nein, Pediküre fällt eigentlich nicht in das Aufgabengebiet des Hundetrainers, aber hej, wie heisst es so schön? Man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben…! Irene hält, ich schneide und wir verhelfen Simba zu wesentlich besserer „Bodenhaftung“…
Wir grübeln gemeinsam, wie das „Leinendilemma“ gehandhabt werden kann und da wir beides sehr patente und durchaus kreative Frauen sind, finden wir auch eine Lösung und so geht es nach Simbas Beauty-Programm gut gesichert erneut nach draussen. Irene trägt ihn durch’s Treppenhaus und die Zwei erkunden die Nachbarschaft wie ein altes Ehepaar, fast so als hätten sie ihren Lebtag nix anderes getan…ich folge in geziemendem Abstand außer mir vor Glück, krieg mich vor lauter „super!“s und „prima!“s kaum noch ein und alle drei sind wir einfach nur happy! happy!! happy!!!
Hallo Simba! Willkommen in der Freiheit 😍
Möglicherweise wird Irene mich noch ein-, zweimal brauchen aber die ersten Schritte in eine rosige Zukunft haben die Beiden gemacht. Ich bin unendlich dankbar für ihr Vertrauen und die Möglichkeit bei Simbas „auf die Welt kommen“ mithelfen zu dürfen…weil das war es irgendwie: eine echt „schwere Geburt“!! In den letzten Tagen war ich soviel mehr als „nur“ Hundetrainerin. Ich war Hunde-Hebamme, Psychologin, Hundefriseurin, Freundin und Beifahrerin in dieser Achterbahnfahrt der Gefühle… und vor allem berührt war ich! Soo berührt von diesen zwei zauberhaften, sensiblen Persönlichkeiten. Die sich gesucht und gefunden haben. Weil’s einfach so sein musste… ❤
Der letzte Blickkontakt, den ich mit Simba kurz vor’m Verlassen der Wohnung hatte, war sehr, sehr intensiv. Er schaute mich fest an, ganz klar und offen und ein bisi frech. Er schien zu sagen:“Okay, du hast tierisch genervt in den letzten Tagen…aber im Nachhinein versteh ich, wofür’s gut war…und…auch wenn ich`s ja echt einseh`, dass es rückblickend vielleicht ganz okay war…aber…TÄGLICH musst du jetzt fei nicht hier aufkreuzen, das weißt du schon, gell?!“